Sächsische Zeitung: «Gesänge aus der Schattenzone»

Das Intrada Vokalensemble aus Moskau bannte das Publikum mit ergreifender Direktheit.
VON KARSTEN BLÜTHGEN
Ein Geheimtipp bleibt es wohl, wenngleich das Intrada Vokalensemble am Sonnabend nicht zum ersten Mal seine Klasse in der Region hören ließ. 2015 folgte der Kammerchor aus Moskau der Einladung der Staatlichen Kunstsammlungen zum Dresdner Kunstfest, gastierte ein Jahr später beim Musikfest Erzgebirge. Nun debütierte er bei den Musikfestspielen und machte aus dem eher leisen Akzent auf vokaler Ensemblemusik im diesjährigen Programm frühzeitig einen ganz großen.
Chormusik in Kombination mit Literatur aus Schattenzonen des Repertoires ist kein Renner, wie die nur mittelmäßig besetzte Annenkirche belegte. Mühelos wäre sie zu füllen gewesen mit Menschen, die den Weg ins Unbekannte nicht bereut hätten. Denn was das Intrada Vokalensemble unter Ekaterina Antonenko bot, war Chorgesang, wie er beseelter, homogener, kraftvoller und intensiver kaum denkbar ist. Die „10 Poeme auf Texte revolutionärer Dichter“ von Dmitri Schostakowitsch lassen den Geist der Russischen Revolution im frühen 20. Jahrhundert aufleben. Wenn sie so ergreifend direkt deklamiert werden wie von den 27 Ensemblemitgliedern, die hoch konzentriert und mit schier unheimlicher Stimmkraft bei der Sache waren.
Jubelschreie in der Kirche
Vielfaches Forte stellte für Intrada kein Problem dar, das Spiel mit dem Nachhall der Annenkirche gefiel. Doch fand Antonenko in diesen Sätzen weit mehr als nur Plakatives. Ihr so akribisches wie bezwingendes Dirigat transportierte Gefühle in einer breiten Palette zwischen schmerzlicher Trauer und entfesselter Siegesfreude.
Noch tiefer in russische Geschichte führte Rodion Schtschedrin, der einen Puschkin-Text über „Die Hinrichtung Pugatschows“ als Tour de Force vertonte. Gespreizte Dynamik, Schrei mit unmittelbar folgendem mehrstimmigen Einsatz — die Souveränität der Darbietung ließ den Atem stocken.
Bei geistlichen Gesängen von Alfred Schnittke und dem Schostakowitsch-Schüler Georgi Swiridow bestachen die Moskauer mit tiefer Empfindung, höchster Intensität im Pianissimo und betörenden Soli. Das Publikum applaudierte stehend, Jubelschreie zeugten von seltener Ergriffenheit, die auf die Sänger rückwirkte. Arvo Pärts „Bogoröditse Djevo“, eine leuchtende Marienverehrung, gab es als überfällige Zugabe.