Dresdner Neueste Nachrichten: «Ein junger Chor: Das Intrada Vokalensemble Moskau»

VON MAREILE HANNS
Es gab vieles, was ungewöhnlich war in diesem, am Ende einhellig bejubelten Konzert des Intrada Vokalensembles Moskau in der Annenkirche. Es handelt sich um einen sehr jungen Chor, dessen stimmliche Homogenität und Ausstrahlungskraft von Anfang an faszinierten. Vor elf Jahren gegründet und tatsächlich aus jungen, bestens ausgebildeten Mitgliedern bestehend, widmet sich das Ensemble zum einen der Alten Musik, aber auch – wie hier in Dresden – russischer A-cappella-Literatur.
Hörbar und mit großer Überzeugungskraft steht das Intrada Vokalensemble Moskau in der Tradition großer russischer Chöre. Gleichzeitig verschließen sie und die Dirigentin Ekaterina Antonenko sich aber auch nicht modernen Tendenzen des Chorgesangs. Herausgekommen ist eine perfekte Mischung von zum Schwelgen einladender Klangpracht und präziser, schattierungsreicher Sangeskunst. Bei allem bewussten Bezug auf Überlieferungen des russischen Chorgesangs bestand nie die allerkleinste Gefahr, unter die Räder peinlichen Pathos zu kommen.
Das ebenfalls nicht alltägliche Programm kündete von russischer Geschichte, von der russischen Seele und der tief verwurzelten Religiosität. 1951 wurden Schostakowitschs „10 Poeme auf Texte revolutionärer Dichter“ op. 88 uraufgeführt, ein Jahr später mit dem Stalin-Preis versehen. Darin hallen die Ereignisse der Hungerrevolten von 1905 in Russland, der blutig endenden Aufstände und Hinrichtungen, der Geheimbünde und Verzweiflung der Menschen in dieser Zeit nach, wofür Schostakowitsch eine sehr eigene, intensive Tonsprache fand, hart auf der Grenzlinie zwischen propagandistischen Anforderungen der Entstehungszeit und kompositorischer Individualität – ein Zeitdokument, das sich vor allem wegen der berührenden Emotionalität der Poeme unbedingt zu hören lohnte. Das Moskauer Ensemble brachte es unvoreingenommen, plastisch modelliert und detailreich zu Gehör.
Noch weiter zurück in die russische Geschichte, nämlich zu den missglückten Bauernaufständen des 18. Jahrhunderts, ging es mit Rodion Schtschedrins „Hinrichtung Jemeljan Pugatschows“ (entstanden 1983). Umrahmt von Glockenimitationen, steigerte sich der eher nüchterne Bericht über den Tod des Rebellenführers zu einem einzigen gewaltigen Aufschrei.
Hernach tat sich die geheimnisvolle Welt der orthodoxen Ostkirche auf, zuerst mit Chören des von Schostakowitsch beeinflussten Georgi Swiridow und dann mit Geistlichen Gesängen von Alfred Schnittke. Stimmgewaltig auf der einen und sehr verhalten auf der anderen Seite verstand sich der Chor vorzüglich auf authentisches russisches Timbre, fremdartig, emotionsdicht, klangschön. Die Hörer ließen sich nur zu gern einfangen von den großen, dramaturgisch geschickt aufgebauten Bögen, den gestalterischen Steigerungen bzw. vom sensiblen Innehalten, etwa in Schnittkes „Vater unser“ . Vielleicht lässt sich diese Art Chorliteratur so und nur so optimal singen, um ihren beeindruckenden Gehalt nachvollziehbar zu machen.