„Stuttgarter Zeitung“:“Lernen unter Luxusbedingungen“

Foto Holger Schneider

Das Festival widmet sich in seiner „Sommerakademie“ der Weiterbildung junger Musiker aus aller Welt. Im Theaterhaus geben sie heute Proben ihres Könnens ab. Von Markus Dippold

Man fühlt sich wieder ein bisschen wie ein Schüler.“ Für eine Endzwanzigerin mit abgeschlossenem Hochschulstudium, die seit einem
Jahr selbst Studenten am Tschaikowsky Konservatorium in Moskau unterrichtet, ist das eine merkwürdige Aussage. Doch Ekaterina Antonenko meint das ernst und schiebt hinterher: „Man lernt sein Leben lang.“ Die Russin ist eine von zehn Teilnehmern des Dirigierkurses bei HansChristoph Rademann. Wie bei jedem Musikfest bietet die Bachakademie auch in diesem Jahr Meisterkurse für junge Solisten und Dirigenten an. „Vom Prinzip ist das wie bei meinem Vorgänger Helmuth Rilling“, sagt Hans-Christoph Rademann,
der neue künstlerische Leiter der Bachakademie, doch sei dieser Teil des Festivals diesmal wesentlich ausführlicher.

Täglich unterrichten er und der Lette Kaspars Putnins die zehn jungen Dirigenten aus aller Welt, die schon einiges an Erfahrung mitbringen und doch noch viel lernen können, wie die sehr gut Deutsch sprechende Ekaterina Antonenko betont:
„Rademann weiß genau, was er will. Von uns verlangt er, klar und präzise zu arbeiten.“ Also lässt er den Nachwuchs mit den Bachakademie-Ensembles proben, er beobachtet die Schlagtechnik und Probenmethodik und sagt „sehr offen und ehrlich, was nicht gut ist“, so Antonenko.

Was wie Dirigieren für Anfänger klingt, findet allerdings auf einem extrem hohen Niveau statt. Denn Rademann hat die Gächinger Kantorei und das Bach-Collegium für diesen Kurs vorbereitet. Ein wichtiger Teil der Arbeit, das formale Einstudieren von Stücken und das Lernen des Notentextes mit den Ensembles, ist schon geschehen. Nun heißt es für die Studenten, den ihnen anvertrauten Sängern und Musikern die eigene Interpretation zu vermitteln und dabei präzise und effizient zu sein. „Zwanzig oder dreißig Minuten proben wir mit dem Chor“, sagt die vor Leben sprühende Ekaterina Antonenko, „da ist keine Zeit für weitschweifige Erklärungen.“ Einerseits sei das natürlich eine luxuriöse Situation, dass man den Sängern nicht erst die Töne beibringen müsse, meint die auch in Moskau als Chorleiterin arbeitende Frau, andererseits würden dadurch aber auch die Anforderungen an sie selbst steigen. Stress? Nein, das nicht, wehrt Antonenko ab, auch wenn sie durchaus unter Dauerbeobachtung stünde: „Die Atmosphäre ist freundlich und offen, auch die Musiker suchen das Gespräch und sagen, wenn etwas nicht gut klappt.“

Aus der anderen Perspektive, nämlich jener des Akademie-Leiters Rademann, hört sich das so an: „Meine Aufgabe ist es, den Studenten zu zeigen, wie man noch ein Quäntchen Verbesserung erreichen kann.“ Beide, Schüler und Lehrer, wüssten, dass es um Klarheit geht, darum, „als Dirigent substanziell im Detail die eigenen Vorstellungen zu vermitteln“. Für beide bedeutet das, dass diese Klarheit der musikalischen Idee vom Text ausgehen müsse. Ist das ein Problem für Nicht-Muttersprachler? Die 28-jährige Ekaterina Antonenko jedenfalls hat schon eineinhalb Jahre in Deutschland studiert, unter anderem in Köln bei Marcus Creed, um nun diesen Meisterkurs zu
besuchen: „Vor allem alte Musik, insbesondere geistliche Musik, kommt sehr aus der Sprache. Man kann das nicht dirigieren, wenn man den Text nicht versteht.“ Ihr Lehrer meint dazu: „Wir arbeiten am Wortgestus, am spezifischen Ausdruck des Textes im jeweiligen Stück.“

Dann wird Rademann grundsätzlich:
„Ich arbeite systematisch. Ich zeige den jungen Kollegen Bestandteile aus meinem dirigentischen Baukasten und helfe ihnen, flexibler zu werden.“ Dass bei seinen Schützlingen allerdings manches nur angetippt werden kann, bestä-tigt auch Ekaterina Antonenko:
„Ich lerne durch die Beobachtung und durch die Kritik von Rademann. Aber ich kann nur versuchen, sein Denken und sein Dirigieren zu verstehen. Danach bin ich dran. Dann muss ich selber aus der gefühlten Richtung eine Klarheit gewinnen.“ Wie viel Klarheit sie nun aus den vergangenen sieben Tagen gezogen hat, muss die vitale Russin schon heute beweisen. Wie alle anderen Meisterkursteilnehmer demonstriert sie ihr Können beim Sommerakademie-Fest im Theaterhaus.

Konzert Beim Fest der Sommerakademie heute um 19 Uhr musizieren gleichzeitig in drei Sälen des Theaterhauses die Teilnehmer aller Meisterkurse.